Die Coronakrise – Ein Selbstinterview von Ria Stahl

 

Corona, die erste

Wie war mein erster Eindruck vom Homeschooling?

Am Anfang war es stressig, alles zu organisieren, vor allem, weil mich, sobald ich mich in der Nähe des Sofas befinde, urplötzlich eine unglaubliche Müdigkeit überkommt. Und dann mussten unerfreulichere Dinge wie Hausaufgaben eben auch mal zurückstecken. Da ich auf eben diesem wundervollen Sofa dann allerdings den Fehler beging, mir YouTube-Videos anzuschauen, in denen perfekt organisierte Influencer*innen mir mitteilten, was ich alles falsch machte, habe ich dann doch die Jogginghose brav gegen die Jeans getauscht, bin nicht alle fünf Minuten zum Kühlschrank geflitzt, um mir Proviant für die lange beschwerliche Reise zu holen, die ich nicht vorhatte, und habe stattdessen einen Handlettering-Wochenplaner erstellt. Das hat mich eventuell mehr Zeit gekostet, als die Hausaufgaben es getan hätten, aber danach ging es doch gut voran. Wobei ich mir nicht hundertprozentig sicher bin, ob der Handlettering-Kalender einen großen Mehrwert im Vergleich zu dem altbewährten Schmierzettel darstellte. Wenigstens machte es einen sehr organisierten Eindruck, oder hätte einen solchen machen können, wenn sich nicht sämtliche Bücher, Hefte und Ordner auf meinem Schreibtisch gestapelt hätten.

 

 

Wie gefiel mir das Lernen von Zuhause auf lange Sicht?

Abgesehen vom gelegentlich streikenden Drucker und meinem wachsenden Hass auf jegliche Art von Technik fing es tatsächlich an, mir zu gefallen! Ohne den Schulweg hatte ich mehr Zeit, die ich für nichts nutzen konnte. Nachdem ich mein Zimmer aufgeräumt, meinen Kleiderschrank ausgemistet und neue Pflanzen gekauft hatte, fiel mir beim besten Willen nichts mehr ein. Sport? Freiwillig nicht. Aber trotzdem war es schön, den Stress, der durch Klassenarbeiten und Tests entsteht, nicht mehr zu haben. Tatsächlich hatte ich lange nicht mehr so viel Spaß am Lernen, einfach, weil es entspannter war. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich nicht den ganzen Tag auf dem Sofa saß und gegessen habe. Größtenteils, aber nicht ausschließlich, denn ich habe Hasen, Meerschweinchen und einen Hund, die kein Verständnis für meine innige Beziehung zu diesem Wohnzimmermöbel haben. Also war ich auch manchmal in der Außenwelt, um mit meinem Hund spazieren zu gehen oder Ställe auszumisten.

 

 

Welche Sorgen mache ich mir jetzt?

Natürlich mache ich mir Sorgen um meine Großeltern, die mit in unserem Haus wohnen. Außerdem mache ich mir Gedanken, wie es wohl weitergeht. Im Herbst war meine Klasse in Quarantäne und wir alle wissen nicht, was die Zukunft bringt. Das ist zumindest für mich persönlich das Schlimmste. Ich bin mir ungern unsicher. Mir ist es lieber, einen Plan zu haben und daher stresst es mich, zum Beispiel nicht zu wissen, ob mein Abitur wegen Corona so sein wird, wie ich mir das immer vorgestellt habe, oder nicht. Die Berufswahl wird auch komplizierter in einer Zeit, in der sich viele in Kurzarbeit befinden und Betriebe finanzielle Probleme haben. Selbst die Berufe verändern sich und auch das erzeugt Unsicherheit.

Die Politik in manchen Ländern ist meiner Ansicht nach besorgniserregend. Außerdem, ein Thema das gerade ein wenig untergeht: der Klimawandel. Diese Dinge kann ich nicht maßgeblich beeinflussen und dadurch entsteht ein gewisses Maß an Machtlosigkeit und das Gefühl ausgeliefert zu sein. Aber es hat auch sein Gutes, denn was ich nicht beeinflussen kann, muss ich so nehmen, wie es kommt.

 

 

Corona, die zweite:

 

Inwieweit unterscheidet sich die zweite Runde Homeschooling von der ersten?

Als wir nach den Weihnachtsferien wieder einmal zu Hause festsaßen, hatte sich das meiste schon sehr gut eingespielt. Ich hatte einen auf die Sekunde genau getakteten Plan für den Morgen, der auch die drei Minuten mit einplante, die ich brauchte, um meinen Laptop hochzufahren, zu seufzen, weil schon wieder ein Bildschirmfehler angezeigt wurde, den Laptop wieder herunterzufahren und es nochmal zu versuchen. Im Übrigen passiert das nie, wirklich nie am Wochenende, wenn es nicht eilig wäre.

Da mich das irgendwann doch nervte, machte ich einen Termin bei einem Elektronikfachmann, woraufhin das Problem sofort verschwand. Nachdem ich den Laptop fünfzehn Mal störungsfrei an- und ausgeschaltet hatte, sagte ich den Termin wieder ab, da ja kein Problem mehr zu sehen war. Wenig überraschenderweise war die Störung dann beim nächsten Hochfahren wieder da.

Die Elektronik dieses Hauses setzt sich konsequent über jegliche Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung hinweg, was nicht unbedingt zu meinem seelischen Gleichgewicht beiträgt.

Insgesamt war jedoch alles recht problemlos, irgendwann verabschiedete ich mich auch von der Hoffnung, bald wieder in die Schule zurückzukommen und konzentrierte mich auf den Unterricht. Also meistens.

 

Welche Auswirkungen hatte die lange Zeit zuhause?

Im Allgemeinen hatte ich es eigentlich recht gut getroffen. Mit meiner Familie verstehe ich mich blendend, ich bin beschäftigt mit diversen Tieren und mein Englisch reicht aus, um vom deutschen YouTube zum internationalen überzuwechseln. Denn bei einer bis an Wochenenden im schlimmsten Fall sechs Stunden am Handy hat man doch einen gewissen Verschleiß.

Mein Bücherkonsum sank drastisch, was auch daran liegen könnte, dass einige dieser Bücher sich mit dem Klimawandel beschäftigten, der mich in den letzten Wochen permanent verfolgt hat.

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich auf dem Sofa – immer noch mein bevorzugter Aufenthaltsort – saß und mir die Augen aus dem Kopf geheult habe, weil ich nicht wusste, wie es weitergehen soll.

Welchen Beruf möchte ich ergreifen? Wie kann ich damit irgendetwas für die Umwelt tun? Sollte mein hauptsächlicher Fokus darauf liegen, die Welt zu retten, oder fröhlich mein Leben zu leben und ein bisschen Bio einzukaufen? Und egal wofür ich mich entscheide, letztendlich werde ich doch bestimmt bereuen, nicht das andere gemacht zu haben, oder? Warum glaube ich eigentlich, dass es meine Aufgabe wäre, die Welt zu retten?

Dieses Elend wurde vermutlich von der latenten Perspektivlosigkeit der aktuellen Situation verstärkt und konnte selbst vom ZDF-Herzkino, auf das ich in meiner Verzweiflung gestoßen war, nachdem mich die Wiederholungen vergangener SWR Sendungen, die ich ausnahmslos alle schon gesehen hatte, mich nicht mehr besonders faszinierten und die neueren von Krankheiten, Ernährungsberatung, Klimawandel und vielen ähnlich schönen Themen handelten, nicht wirklich gelindert werden. Die Vorhersehbarkeit dieser Filme hatte allerdings im Vergleich zu Corona durchaus etwas für sich, allerdings war dieser massive Rosa-Glitzer-Unrealismus nun auf lange Sicht auch wirklich nicht das Wahre und ich kehrte wieder zum SWR zurück.

Die Gesamtheit meiner Beschäftigungsfelder lässt sich also zusammenfassen mit: Dem Unterricht beiwohnen, Essen, Fernsehen, Schlafen, Essen und mit meinem Hund Zoe spazieren gehen.

Letzteres allerdings hob meine Stimmung wesentlich.

Zum einen stellte ich fest, dass meine nicht vorhandene Kondition durch den langen Aufenthalt auf dem Sofa auch nicht in den negativen Bereich abrutschen konnte, also musste ich mir um „Sport um meine Fitness zu erhalten“ schon einmal keine Sorgen machen, denn wo nichts ist, kommt auch nichts weg.

Trotzdem versuchte ich es, nur um meinem Gewissen etwas Gutes zu tun, einmal mit Yoga, stellte allerdings recht schnell fest, dass ich den herabschauenden Hund lieber Zoe überlassen sollte. Das reichte mir dann auch völlig als Auslastung und ich beschränkte meine sportliche Tätigkeit wieder auf den Hundespaziergang.

Noch weiter gehoben wurde meine Stimmung, als es anfing zu schneien, denn ich bin definitiv ein Wintermensch. Von der Schönheit meiner Umgebung verzaubert, ließ ich mich sogar dazu hinreißen, mein heiß geliebtes Wohnzimmermöbel zu verlassen und durch den Schnee zu hopsen. Kleiner Tipp an dieser Stelle: Wenn man mitten im Schneegestöber steht, bietet es sich ganz wunderbar an, die Musik des Lieblingsweihnachtsfilms anzuhören. Das hebt dieses Erlebnis auf ein ganz anderes Level! Und kann je nach individueller Ausprägung des Tanztalents auch zur Erheiterung der Umstehenden beitragen.

 

Wie erhoffe ich mir die schulische Zukunft?

Ganz ehrlich, ich bin niemand, der ein Problem damit hat, keinen Kontakt zu besonders vielen Menschen zu haben. Dachte ich. Aber ich habe unterschätzt, wie schön es ist, sich mit anderen Menschen zu unterhalten, Leute auf der Straße anlächeln zu können und einfach mal jemand anderen zu sehen als die engste Verwandtschaft.

Das wurde mir klar, als jemand, den ich kannte, im Auto an mir vorbeifuhr, mir zuwinkte und ich mich so sehr freute, als hätte mir gerade jemand eine Schwarzwälder Kirschtorte geschenkt. Auch, dass ich mich wie ein Honigkuchenpferd auf den Besuch beim Zahnarzt freute, machte mir dann doch Sorgen.

Aber ich freue mich auch wieder auf die Schule und das ist doch auch auf jeden Fall etwas wert!

 

Alles in allem war und ist der Shutdown ein Erlebnis, bei dem ich vermutlich nicht traurig wäre, es nicht erlebt zu haben, aber ich hatte auch viel Spaß und mehr Zeit für außerschulische Aktivitäten. So realitätsfern diese Blümchenkalendersprüche auch manchmal sind, es stimmt, es hat alles auch sein Gutes, man muss es nur sehen.

Das ist vor allem jetzt wichtig, um nicht in dem tiefen dunklen Loch zu versauern, dass sich vor dem einen oder anderen vielleicht auftut.

Ich versuche, diese Zeit so zu nutzen, dass ich danach sagen kann, dass sie mir etwas gebraucht hat und zwar mehr als einen gestiegenen Körperfettanteil. Nach dieser Erfahrung werden wir hoffentlich die kleinen Dinge im Leben ein bisschen mehr schätzen, weil sie leider doch nicht so selbstverständlich sind, wie wir alle immer dachten.

Gleichzeitig haben wir aber vielleicht auch gelernt, dass wir manches überhaupt nicht brauchen, von dem wir dachten, es sei unverzichtbar. Und hoffentlich können wir etwas aus dieser Zeit lernen, denn vielleicht war dieser schöne Winter nicht nur eine meteorologische Überraschung, sondern beeinflusst durch die bessere Luft und die geringere Reiseaktivität.

Denn dann gäbe es noch etwas mehr Hoffnung und wir hätten mehr Möglichkeiten etwas zu verändern, als wir dachten.

Und vielleicht helfen wir auch in Zukunft anderen, die Hilfe, oder einfach jemanden zum Reden oder zum Einkaufen brauchen, statt allein zuhause zu sitzen.

Ich hoffe, dass wir es schaffen, unsere Chance zu ergreifen, denn ich weiß nicht, wie viele wir noch haben.

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